Wie Österreich wirklich wählt

Das heimische Superwahljahr steuert auf die heiße Phase zu – am 29. September findet die Nationalratswahl statt. Wir haben in einer Umfrage unter rund 1.000 Befragten untersucht, wie aktiv die Bürgerinnen und Bürger ihr Wahlrecht ausüben, wie stark ihre Parteibindung ist, wann sie ihre Wahlentscheidung treffen und welchen Einfluss dabei Prognosen wie die Sonntagsfrage haben.

Politikinteresse: Zwischen verhaltener Leidenschaft und stabiler Gleichgültigkeit

Das politische Interesse lässt sich hierzulande ganz österreichisch als „so mittel“ beschreiben. Nur jede*r fünfte Teilnehmer*in der Marketagent-Umfrage bezeichnet sich selbst als sehr (20%), 3 von 10 als zumindest eher interessiert. Insgesamt also gerade einmal die Hälfte der Bevölkerung, die eine Passion für Politik bekundet. Weitere 30% ordnen sich diplomatisch in der neutralen Mitte ein, während sich die restlichen 20% wenig bis gar nicht zugänglich für dieses Thema zeigen. Spannend dabei: Die Österreicherinnen und Österreicher, die sich eher an den politischen Rändern beheimatet fühlen – und das sowohl links (55%) als auch rechts (60%) – lassen deutlich mehr Interesse erkennen als jene, die sich in der Mitte einordnen (46%).

Wer jetzt zunehmende Politikverdrossenheit aufgrund der Skandale der letzten Jahre vermutet, dem sei versichert, dass das Interesse – oder eher Desinteresse – an Regierung, Parteienlandschaft und Co. hierzulande relativ stabil ist. Bereits 2015, also vor knapp 10 Jahren, outete sich nur knapp die Hälfte (48%) als sehr oder eher politisch interessiert.

Österreich bleibt flexibel: Wechselwähler*innen dominieren

Nur ein gutes Viertel der Befragten im Alter von 16 bis 75 Jahren ordnet sich selbst der Gruppe der Stammwähler*innen zu, die also bei jeder Wahl der gleichen Partei ihre Stimme geben (28%). Die große Mehrheit (62%) verortet sich in die Fraktion der fallweisen Wechselwähler*innen. Die restlichen 10% wechseln häufig die Partei, der sie in der Wahlkabine ihr Kreuzchen anvertrauen. Den höchsten Anteil an Stammwählerinnen und -wählern weist dabei das Spektrum rechts der Mitte auf (44%). Auch lassen Personen ohne Matura eine deutlich stärkere Parteiloyalität erkennen als jene mit höherer schulischer Ausbildung.

Stammwählerschaft als stabiler Anker

Obwohl das politische Interesse nicht überbordend ist, übt doch ein Großteil der Österreicherinnen und Österreicher regelmäßig ihr Wahlrecht aus. Fast zwei Drittel berichten in der vorliegenden Umfrage, dass sie bei jeder Wahl ihre Stimme abgeben (65%). Demgegenüber stehen 6%, die sich als grundsätzliche Nicht-Wähler outen. Besonders aktiv beim Urnengang zeigen sich die älteren Generationen: In der Gruppe der GenX und der Babyboomer nehmen jeweils fast 8 von 10 Befragten an allen Wahlen teil. Zum Vergleich: Bei den Millennials liegt dieser Anteil nur bei 58%.

Hier zeigen die Daten auch klare Unterschiede in Hinblick auf die Parteiloyalität. Stammwähler*innen berichten eine besonders hohe Wahlbeteiligung (75%). Das ist wenig überraschend. Sie fühlen sich für gewöhnlich stark mit „ihrer“ Partei verbunden und sehen es als ihre Pflicht an, diese bei jedem Urnengang zu unterstützen. Die Wechselwählerschaft lässt hingegen deutlich weniger Wahl-Motivation erkennen. Diese Gruppe ist oft kritischer und weniger loyal gegenüber Parteien, was sie potenziell seltener zur Wahlurne treibt, wenn sie das Angebot als unattraktiv empfindet.

Wahlumfragen: Stimmungsmache oder verlässlicher Blick in die Zukunft?

Ein beliebter Gradmesse, um die politische Stimmung im Land einzuschätzen, ist die Sonntagsfrage. Die Antwort auf die Frage, welcher Partei man sein Kreuzchen geben würde, wenn am kommenden Sonntag Wahlen wären, gibt Aufschluss über die momentanen Parteipräferenzen in der Bevölkerung und wird oft genutzt, um Trends und Veränderungen in der Wählergunst zu beobachten. „Dabei ist die Sonntagfrage ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite bietet sie einen wertvollen Einblick in aktuelle politische Stimmungen und Trends und kann Parteien und Wähler*innen mobilisieren. Auf der anderen Seite ist die Aussagekraft der Sonntagsfrage begrenzt. Da sie nur eine Momentaufnahme darstellt, kann sie kurzfristige Emotionen widerspiegeln, die nicht unbedingt bis zum Wahltag Bestand haben“, erläutert Thomas Schwabl, Gründer und Geschäftsführer von Marketagent.

Auch die vorliegenden Umfrageergebnisse lassen erkennen, dass die Sonntagsfrage für die Österreicherinnen und Österreicher zwar von Interesse (40%), in der Wahlentscheidung aber wenig relevant ist. Stamm- und Nicht-Wähler*innen stehen dem Stimmungsbarometer dabei besonders indifferent gegenüber. Am ehesten scheinen sich noch die Gelegenheitswählerinnen und -wähler, also jene, die ohnehin stärker zum Urnengang motiviert werden müssen, von den Prognosen der Sonntagsfrage leiten zu lassen.

Die geringe Relevanz lässt sich wohl auch auf das eingeschränkte Vertrauen in die Aussagekraft von politischen Umfragen zurückführen. Lediglich 19% der Österreicherinnen und Österreicher glauben, dass die Ergebnisse der Sonntagsfrage das tatsächliche Wahlverhalten widerspiegeln. 29% zweifeln die Realitätsnähe stark an. Gut die Hälfte wählt auch hier die diplomatische neutrale Mitte (52%). Mehr als jede*r Zweite hält es außerdem für gut möglich, dass Wahlumfragen gezielt von Parteien eingesetzt werden, um die öffentliche Meinung zu lenken (53%).

Späte Entscheidung: Wechselwähler*innen und Junge zögern bis kurz vor der Wahl

Ihre eigene Wahlentscheidung treffen die Österreicherinnen und Österreich relativ spät. Mehr als die Hälfte (53%) der Wechselwählerschaft weiß erst frühestens in der Woche vor dem Urnengang, bei wem sie ihr Kreuzchen setzen werden.

Spätentschlossen sind insbesondere die Jung- und Erstwähler*innen (61%) und die Gelegenheitswählerinnen und -wähler. Die Wechselwähler*innen in der politischen Mitte lassen sich für ihre Entscheidung ebenfalls länger Zeit (56%) als die stärker links- bzw. rechtsgerichteten. Auch bei der anstehenden Nationalratswahl werden die österreichischen Parteien daher bis zur letzten Minute um die Gunst der Spät- und Unentschlossenen ringen. Nach dem heißen August verspricht der September gleichermaßen hitzig zu werden.

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